Ausbildung 4.0 – vernetzt und digital Lectra-Themendienst Juni 2018

Aktuelles: Digitalisierung der Arbeitswelt – Berufsbildung 4.0

Industrie 4.0 ist das Zukunftsthema deutscher Unternehmen. Nahezu alle Berufe sind von Digitalisierung betroffen. Junge Menschen müssen viel früher die Grundlagen der vernetzten Arbeitswelt erlernen, um zu geeigneten Fachkräften zu werden. Der digitale Wandel ist auch eine große Herausforderung für die berufliche Ausbildung.

Um den Wandel in der Textilbranche zu unterstützen, pflegt das Technologie-Unternehmen Lectra Partnerschaften mit über 900 Schulen und Universitäten weltweit. In Deutschland etwa mit dem Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstoffe der TU Dresden und der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.

Lectra stellt den Studenten die eigenen Technologie-Lösungen zur Verfügung, etwa mit 80.000 Lizenzen für 3D-Prototyping-, Design- und Schnittbild-Software. Lehrkräfte erhalten kostenlose Schulungen, um die optimale Ausbildung ihrer Studenten zu unterstützen. „Es ist fundamental, Innovationsexperten der Branche und Modeschulen zusammenzubringen, da Schüler die Entwicklung der Branche vorantreiben werden“, erklärt Pascal Denizart, Geschäftsführer des European Centre for Innovative Textiles.

Der Gewinner des Armani-Wettbewerbs freut sich über das begehrte Praktikum in der Armani-Kollektionsentwicklung.

Im Rahmen der Partnerschaften organisiert Lectra zudem regelmäßig Wettbewerbe mit Modeunternehmen. Armani kürte Studenten für das kreativste Schnittbild und COS (H&M-Konzern) für das abfalllose Design einer Kollektion. „Der Prozess lief vollständig digital ab – vom Design bis zum Erstellen eines virtuellen 3D-Prototypen. Die Zusammenarbeit ist genau die Art von Projekt, die unsere Studenten enorm motiviert und ihnen die notwendigen Fähigkeiten für den Arbeitsmarkt vermittelt“, so Penny Norman, Dozent an der Arts University Bournemouth, Partner des Wettbewerbs mit COS.

Alle zwei Jahre lädt Lectra seine weltweiten Partner aus dem Ausbildungsbereich zu einem Ausbildungskongress ein. 2017 diskutierten auf dem Firmengelände in Bordeaux-Cestas Lehrkräfte von Hochschulen, Studenten und Branchenexperten den Wandel der Textil-Industrie – das nächste Update zur Ausbildung in digitalen Zeiten gibt es im Sommer 2019.

Markt & Meinung: Der Fachkräftemangel, ein Bildungsproblem

Automatisierung und Digitalisierung zerstört Arbeitsplätze, meinen die Einen. Andere Stimmen sind überzeugt, der Schritt zur Industrie 4.0 schaffe neue Arbeitsplätze. Wer hat nun recht?

Fakt ist: Schon heute fehlen in vielen Industriezweigen Fachkräfte. Im April dieses Jahres waren es laut Institut der deutschen Wirtschaft Köln in technischen Berufen über 300.000 fehlende Arbeitskräfte. Ein neues Allzeit-Hoch seit Beginn der Erhebungen im Jahr 2011. Der Fachkräftemangel bremst mitunter bereits das wirtschaftliche Wachstum und kostet so die deutsche Wirtschaft an die 30 Milliarden Euro im Jahr. Die schwierige und oft erfolglose Suche nach Fachkräften sei ein wichtiger Grund für niedrige Unternehmensinvestitionen und überlastete Kapazitäten. Gesucht werden vor allem IT-Experten.

Mangel an Fachkräften und Digitalkenntnissen hemmt das Wachstum

Eine Entwicklung, die auch die Textil und Leder verarbeitende Industrie trifft. In einer Umfrage hat Lectra 2017 gemeinsam mit dem Centre for Industrial Studies (CSIL) Entscheider und Manager aus der Polstermöbelindustrie in Asien, West- und Osteuropa sowie Nordamerika befragt. Eine der größten Herausforderungen in allen Märkten: Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Osteuropäische Polstermöbelhersteller nannten den Fachkräftemangel sogar als größte Hürde für Wachstum. „Unternehmen der Textil und Leder verarbeitenden Branche stehen vor einer Herausforderung. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen sie den Schritt der eigenen Digitalisierung in Richtung Industrie 4.0 mit vernetzte Lösungen gehen“, sagt Holger Max-Lang, Geschäftsführer von Lectra Deutschland. „Doch Unternehmen fehlen die Fachkräfte, die diesen Wandel mittragen.“

Quelle: Umfrage zur Lage der Polstermöbelindustrie, Lectra und CSIL 2017.

Der Fachkräftemangel ist jedoch nur ein Aspekt der Digitalisierung von Arbeit. Das zeigt eine Umfrage der Personalberatung Careerteam unter 65 Chief Digital Officers (CDO) aus dem deutschen Mittelstand. Auch hier nennen 51 Prozent den Fachkräftemangel als großes Hemmnis. 86 Prozent der befragten CDOs sagen aber, dass es in der Belegschaft an grundlegenden und übergreifenden Digitalkenntnissen fehle.

Ausbildung 4.0 – vernetzt und digital

Holger Max-Lang, Geschäftsführer Lectra Deutschland.

Eine Lösung für das Problem liegt in der Ausbildung zukünftiger Arbeitskräfte. Mit dem digitalen Wandel verändern sich nicht nur die Herstellungsprozesse, auch die Berufsbilder entwickeln sich mit. „Modedesigner müssen heute neben Schneidern und Zeichnen auch mit Design-Software und 3D-Lösungen umgehen können. Möbelfachkräfte bedienen neben ihren handwerklichen Aufgaben auch digital vernetzte Fertigungsmaschinen“, sagt Max-Lang. Schulen und Universitäten müssen diesem Wandel Rechnung tragen und Lehrpläne anpassen und erweitern. „Wie auch die verwendeten Fertigungstechnologien müssen sich Ausbildungsberufe vernetzen,“ sagt Max-Lang.

Um diesen Austausch von Industrie und Bildung zu ermöglichen, gibt Lectra Modeschulen und Universitäten Zugang zu den eigenen Software-und digitalen Fertigung-Lösungen, und schult ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter in der Anwendung. In über 900 Partnerschulen und Universitäten weltweit teilt das Unternehmen sein Know-how über die Branche mit Studenten und hilft, sie so auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten.

Die neuen Berufsbilder bringen der Textil und Leder verarbeitenden Industrie zudem die Möglichkeit, die digital‑affine Generation wieder für handwerkliche Berufe zu begeistern. Eine Entwicklung, die nicht nur den Fachkräftemangel eindämmt, sondern auch neue Arbeitsplätze schafft. Mit den richtigen Qualifikationen braucht man auch keine Angst zu haben, seinen Beruf an industrielle Roboter zu verlieren.

Wissen Digital: Interview zur Ausbildung 4.0

Andreas Heinzmann, Studiengangsleiter Holztechnik Master, Hochschule Rosenheim.

Mit dem Wandel zur digitalen Industrie 4.0 verändern sich auch die Anforderungen an die Fachkräfte der Textil- und Möbelindustrie. Die Ausbildung muss dem Rechnung tragen. Andreas Heinzmann ist Studiengangsleiter Holztechnik Master an der Hochschule Rosenheim und spricht mit uns über diesen Wandel.

1. Lectra: Wie hat sich das Berufsbild der Fertigungsfachkräfte in den letzten zehn Jahren verändert?

AH: Ganz klar von Handwerk in Richtung IT. Wo früher Arbeiter noch Hand angelegt haben, stehen heute automatisierte Prozesse und digitale Fertigungsmaschinen, gesteuert mit Software-Anwendungen. Fachkräfte sind heute vor allem Aufsichtspersonen, die von oben auf diese Fertigungsabläufe blicken, sie bedienen, regeln, warten oder verbessern. Das gilt auch für die vorgelagerten Prozesse wie Nesting oder Zuschnitt. Nur das Thema Nähen ist weitestgehend noch Handarbeit. Doch der Trend zur Automatisierung hält an. Ich war im vergangenen Jahr bei der Firma Kuka, einem der größten chinesischen Sofa- und Polstermöbelhersteller. Dort konnte ich sehen, was sie vorhaben, wo sie heute stehen und in den nächsten Jahren hinwollen – die Schritte sind enorm.

2. Lectra: Sind Studenten auf den Berufseinstieg in die Industrie 4.0 der Textil- und Möbelfertigung gut vorbereitet?

AH: Bedingt, und auf jeden Fall nicht flächendeckend. Viele Ausbildungsstätten hinken hinterher. Doch es passiert sehr viel. An der Hochschule Rosenheim haben wir beispielsweise in neue Labore und Forschung investiert, die wir in die Lehre mit einbringen. Hier ermöglichen wir praktische Anwendungen und die Studierenden arbeiten mit Software- und Automatisierungslösungen sowie Robotik-Anwendungen. Sie sollen verstehen, was mit den neuen Technologien möglich ist. Das heißt nicht, dass sie alle möglichen Einsatzbereiche vollständig beherrschen werden, aber sie verstehen dadurch, in welche Richtung sich die Branche und ihr Berufsbild entwickelt: Von vernetzten Maschinen und Robotern, SaaS (Software as a Service) und Cloud‑Lösungen bis hin zu fahrerlosen Transportsystemen und intelligenten Logistik-Konzepten. Die Studierenden dafür zu sensibilisieren, das ist für uns ein ganz klarer Schwerpunkt.

3. Lectra: Wie muss sich die Ausbildung verändern, um Berufseinsteiger auf die Industrie 4.0 vorzubereiten?

AH: Wir müssen praxisnäher werden und zusammen mit Unternehmen Fallbeispiele einbringen – Die Ausbildung funktioniert nicht mehr allein theoretisch. Diese Brücke zu schlagen, damit tun sich die Studierenden oft schwer. Der Begriff Industrie 4.0 ist häufig unverständlich, denn ihre Anwendungen sind oft nicht greifbar. Jeder redet davon, aber viele verstehen darin Unterschiedliches oder verkaufen darunter Dinge, die sie schon seit 30 Jahren machen. Ich arbeite in einem EU-Projekt mit, in dem es darum geht, branchenübergreifend die Digitalisierung im Mittelstand zu fördern. Ein starker Schwerpunkt, den wir als Projektpartner mit einbringen: Beispielanwendungen und Fallstudien von Fabriken. Sie sind zum einen ausgerichtet auf Auszubildende und Studenten, aber auch auf Firmen, die selbst noch nicht genau wissen, was für sie der richtige Weg ist und was sie tun können.

4. Lectra: Was können Unternehmen tun, um die Ausbildung zukünftiger Fachkräfte zu unterstützen?

AH: Unternehmen kommen nicht umhin, eine Strategie zur Digitalisierung und zur Industrie 4.0 zu erarbeiten. Dazu gehört auch das Thema Fachkräfte und Ausbildung. Learning by Doing reicht nicht mehr aus, wir müssen Auszubildenden wie Mitarbeitern im Unternehmen die neuen Fertigungsprozesse strukturiert beibringen. Großunternehmen gehen das teils selbst an. Mit einer Ausbildungsstrategie und eigenen Personalabteilungen und -programmen entwickeln sie ihre Fach- und Führungskräfte weiter. Doch liegen die Kompetenzen oft nur bei ein bis zwei Schlüsselpersonen, die keine Kapazitäten für zusätzliche Schulungen haben. Gerade spreche ich mit der Homag Group, weltweiter Hersteller von Anlagen für die holzbearbeitende Industrie. Sie planen, bei uns an der Hochschule Blockseminare auszurichten, um ihren Auszubildenden und Mitarbeitern die Prozesse und Organisation in der Fertigung beizubringen. Das ist auch eine Möglichkeit für mittelständische Unternehmen, die das alleine nicht schaffen. Sie müssen sich mit Ausbildungsstätten und externen Dienstleistern vernetzen, um ihren Fachkräften fundierte Kompetenzen zu vermitteln.

Vielen Dank für das Gespräch.

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